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STORYTELLING - AKTION

#gegenrassismus

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eine Attacke aus dem Nichts - Zivilcourage und Mut

Eine Freundin von mir lebt in Neukölln in der Nähe der Neuköllner Arkaden und war eines Tages dort unterwegs. Gedankenverloren ging sie die Karl-Marx-Straße entlang. Sie wusste nicht, wie ihr geschah, als ein älterer Mann seinen Hund auf sie los hetzte und sie dabei auf übelste Weise beschimpfte. Bevor der Hund Schlimmeres anrichten konnte, griff glücklicherweise eine Gruppe Jugendlicher ein und half meiner Freundin, sich vor den Angriffen des Hundes und den verbalen Attacken des Mannes zu schützen. Zusammen erstatteten wir dann Anzeige bei der Polizei. Der Fall bekam schließlich auch mediale Aufmerksamkeit als gutes Beispiel für Zivilcourage. 

 

„Wenn ich bestimmen könnte…, hätte ich sowas wie Sie nicht eingestellt.“

Die schlimmste Phase meines Lebens war meine Ausbildungszeit, in der ich besonders häufig von Diskriminierung betroffen war. Das lag vor allem an meiner Ausbilderin Frau Brüll*, die es nicht lassen konnte, mich tagtäglich fertig zu machen. Einmal sagte sie mir direkt ins Gesicht:

„Wenn ich bestimmen könnte, wer einen Ausbildungsplatz bei uns bekommt, hätte ich sowas wie Sie nicht eingestellt.“

In der Lehre zur Bürokauffrau sollten wir Freihand Diagramme zeichnen. Unsere Ausbilderin, Frau Brüll, wollte sehen, wie gut wir das können. Jeder musste danach das Diagramm vorzeigen. Als ich an der Reihe war, hatte sie mein Diagramm genommen. Ohne es anzuschauen warf sie es einfach zur Seite und schimpfte laut:

„So nicht!“. Ein Schockgefühl durchzog meinen ganzen Körper, weil ich eigentlich davon überzeugt war, dass ich schon immer sehr gut Diagramme erstellen konnte. Außerdem hatten alle um mich herum im Vorfeld zu mir gesagt, dass keine der Diagramme so gut aussehen wurde, wie meins. Tatsächlich hatte ich den anderen Auszubildenden sogar dabei geholfen. Dass sie gleich darauf negativ reagiert, war deshalb umso trauriger für mich. Sie hatte es ja gar nicht angeschaut! Wie sollte sie das beurteilen können, fragte ich mich ständig.

Dagmar*, eine andere Auszubildende, kam anschließend zu mir und konnte ebenso wenig die negative Reaktion der Ausbilderin verstehen. Vor der Abgabe beschlossen wir daraufhin, den Namen Dagmar auf meine Arbeit zu setzen, um zu schauen, ob es tatsächlich an mir liegen würde.

Schließlich ging Dagmar damit zur Ausbilderin und zeigte ihr das Diagramm. Ich selbst ging davon aus, dass Dagmar jetzt ein Donnerwetter von ihr bekommen würde. Doch auf einmal rief unsere Ausbilderin durch die ganze Klasse:

„Oh Dagmar, was für ein schönes Diagramm!? So perfekt! Das habe ich noch nie besser gesehen!“. Die Ausbilderin war auf einmal so beeindruckt von Dagmars vermeintlicher Arbeit und lobte sie fünf Minuten lang. Irgendwann entgegnete Dagmar:

„Aber Frau Brüll, die Arbeit ist nicht von mir, sondern von Humera!“ Wir erhielten beide einen Eintrag, weil wir die Ausbilderin getäuscht hätten. Aber durch diese Aktion konnten wir jedem beweisen, dass meine Ausbilderin prinzipiell etwas gegen mich hatte und mich gegenüber anderen Azubis wegen meines Aussehens und meiner Herkunft ganz klar benachteiligen wollte.

*Soweit Namen angegeben sind, haben die Betroffenen zugestimmt. Namen mit einem * versehen wurden aus datenschutzrechtlichen Gründen nachträglich durch fiktive Namen geändert.

 

„… Wir haben genug von Euch“

Als ich eines Abends zurück mit der Linie U8 aus Kreuzberg nach Hause in den Wedding fuhr, stand ein Mann betrunken mit einer Bierflasche in der Hand und schrie laut: „Ausländer raus, wann geht ihr endlich in eure Heimatländer zurück und lasst uns Deutsche in Ruhe. Wir haben genug von Euch.“ Als ich überlegte, ob ich darauf reagieren sollte oder ob jemand anders aufstehen würde, wurde das Schweigen von Beifall von mindestens 10 Menschen in dem Abteil unterbrochen. Frustriert setzte ich mich wieder hin.

 

 

Wie für meine Freundin ein vielversprechender Abend zum Alptraum wurde

Einmal erwartete ich eine Freundin für einen „Mädelsabend“ bei mir zu Hause. Ich konnte es kaum erwarten, sie wiederzusehen, und freute mich natürlich auf einen netten und harmonischen Abend. Was sollte schon schief gehen?

Sie schrieb mir schon, dass sie sich bereits am S-Bahnhof Wedding befindet und bald bei mir ist. Die Minuten vergingen und sie war immer noch nicht da. Ich begann mich zu wundern, wo sie bleibt. Eigentlich ist der Weg vom S-Bahnhof doch gar nicht so weit zur Maxstraße. Plötzlich rief sie an, und eine hilflos weinende Stimme meldete sich am anderen Ende der Leitung. Ich erschrak und mir verschlug es die Sprache, als ich erfuhr, was ihr passiert war.

Meine Freundin hatte den Bahnhof verlassen und lief an einer Gruppe betrunkener deutscher Jugendlicher vorbei, als sie von ihnen mit Steinen beworfen wurde, und einer davon sie am Kopf traf. Außerdem wurde sie wegen ihres Kopftuches immer wieder als „Schleiereule“ beschimpft.

Schließlich machte ich mit meiner Freundin am Telefon aus, dass ich ihr entgegenkommen würde. Als ich den Tatort erreichte, war die Gruppe bereits verschwunden. Ich nahm sie dann mit zu mir und versuchte sie zu beruhigen. Sie stand jedoch komplett unter Schock und an ihrem Kopf prangte eine heftige Beule. Der Plan von einem entspannten Abend war erst einmal über den Haufen geworfen.

Wir meldeten uns letztendlich bei der Polizei und erstatteten Anzeige. Im Endeffekt hat es leider nicht viel geholfen, weil meine Freundin nicht wirklich auf die Gruppe geachtet hatte. 

 

Erzähl nicht solchen Scheiß!

Menschen ohne Wohnung sind nicht immer frei von Vorurteilen. Auch nationalistische. Ein alkoholkranker Obdachloser mit deutscher Staatsbürgerschaft hatte einen nichtdeutschen Leidensgenossen mit den Worten angemacht: „Was macht denn der hier?“Gerade um die Ecke biegend, erhält er von mir die Antwort: „Er ist genauso obdachlos wie du!“ Seine Entgegnung daraufhin ist klassisch deutsch-national: „Den Ausländern wird doch alles in den Arsch gesteckt!“

Ein grober Klotz braucht einen groben Keil: „Erzähl nicht solchen Scheiß!“, sage ich.

Der ist erst einmal sprachlos, sodass ich nachlegen kann: „Sei froh, dass du Hartz IV bekommst. Wenn Du mit den Bezügen nach Asylbewerberleistungsrecht auskommen müsstest, würdest du heulen!“

Nach einer kleinen Pause versucht er es erneut: „Aber Wohnungen…“

Auch das weißich besser: „Das weißich besser! Ich habe mit einer Frau gesprochen, die Wohnungen für Flüchtlinge sucht. Ich habe sie gefragt, in welchem Segment und sie hat mir geantwortet, sie müsse sich an die AV Wohnen* halten.“Jetzt kann er nichts mehr sagen.

 Viele Jahre konnten Flüchtlinge Wohnungen ohne das rigide Limit der AV Wohnen* anmieten. Das dem nicht mehr so ist, hatte ich bei einer Veranstaltung über Diskriminierung am Wohnungsmarkt erfahren.

*Ausführungsvorschriften Wohnen, welche die Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitssuchende und Sozialhilfeempfangende regelt.

 

Schikane auf dem Schulhof - Zivilcourage und Mut

In meiner Schulzeit bin ich in einem Fall involviert gewesen, bei der eine Freundin aus meiner Moscheegemeinde Opfer von physischer Gewalt in ihrer Grundschule gewesen ist. Eines Tages kam sie zu mir und meinen Freundinnen und erzählte uns von den Schikanen, die sie tagtäglich auf jeder Hofpause erleiden musste, bei denen eine Gruppe von Jungs versuchte, ihr das Kopftuch wegzureißen. Die für die Aufsicht verantwortlichen Lehrer*innen unternahmen keinerlei Anstrengungen, die Situation zu klären. Weder griffen sie ein, noch stellten sie die Täter zur Rede. Als meine Freundin uns das damals erzählte, war sie untröstlich und brachte vor Weinen nur mit Mühe einen ganzen Satz heraus. Damals war ich auf der Realschule gewesen, und, so hitzköpfig wie ich damals war, beschlossen wir an einem Tag in die Schule zu gehen und uns ihre Mitschüler mal vorzuknöpfen. Ich selbst war dankbar für meine Berliner Schnauze, die schon damals dazu bereit war, sich gegen jede Form von Mobbing und Diskriminierung zu Wehr zu setzten. Wir mussten ihr ja irgendwie helfen, wenn die Lehrkräfte schon tatenlos zuschauten. Letztendlich geschah es auch in unserer Anwesenheit, dass erneut versucht wurde, ihr das Kopftuch herunterzureißen. Entsetzt beobachteten wir zunächst, wie die Stecknadel, mit der das Kopftuch festgeklammert wird, sich sogar in den Hals meiner Freundin bohrte und die Haut aufschnitt. Anschließend kam sie auf uns zugelaufen und weinte bitterlich. Sind die Jungs ihr hinterhergelaufen? Als die Mitschüler nicht aufhören wollten, riss bei uns der Geduldsfaden und wir gingen dazwischen. Wir sorgten schließlich dafür, dass die Jungs in Zukunft die Finger von unserer Freundin ließen. Mehrmals warnten wir sie davor wiederzukommen, falls es wieder passieren sollte. Mit dieser Erfahrung habe ich schon im jungen Alter gemerkt, wie wichtig es im Leben ist, Zivilcourage und Mut zu zeigen. Noch heute ermutige ich Mädchen aus meiner Gemeinde, selbstbewusst zu sein, und versuche immer wieder ihr Selbstvertrauen zu stärken. 

 

Du bist auch gemeint!

Vor ein paar Jahren gab es statt Bargeld ein Gutscheinsystem für Geflüchtete in Berlin. Zwei Flüchtlinge, beide Schwarze aus Afrika standen in der Schlange vor mir bei Lidl an der Kasse und kauften eine Kleinigkeit ein. Schließlich waren sie an der Reihe. Nachdem die Kassiererin nach Geld verlangte, zeigten die beiden ihre Gutscheine vor. Zögerlich und mit verzogener Miene nahm sie ihre Gutscheine und notierte alles auf ein Papier, welches einige Minuten dauerte: Es bildete sich eine lange Schlange und die anderen Kunden hinter mir wurden langsam unruhig. Zwei oder drei Personen riefen dabei ziemlich laut „Wann werden diese Schmarotzer endlich nach Hause gehen?“ Als ich mich einmischen wollte, riefen die gleichen Leute, „Du bist auch gemeint!“

An dem Tag war der Chef der Lidl-Filiale nicht zu sprechen. Als ich vom Büro des Chefs kam, waren die beide Asylbewerber schon weg. Ich musste auch nach Hause gehen, weil keiner von den Kunden in der Schlange als Zeuge aussagen wollte.

 

Die Ausländerbehörde: Falsche Anschuldigungen

Als er seinen letzten Termin bei der Ausländerbehörde antreten musste, lebte mein Cousin Gregorio* seit mittlerweile neun Jahren in Berlin. Er konnte in der Zeit sein Studium erfolgreich abschließen und bekam durch ein Jobangebot die Möglichkeit, sich auch in der Arbeitswelt langfristig zu behaupten. Vorher hatte er sein Leben in Peru und Venezuela verbracht. Nun war aber Berlin die Stadt geworden, in der Gregorio sich wohlfühlte und seine Zukunft sah. Um sich diesen Wunsch zu erfüllen, hatte er bei der Ausländerbehörde einen Antrag auf Verlängerung seines Visums gestellt. Aufgrund seiner Qualifikationen rechnete Gregorio sich gute Chancen aus, dass der Antrag ohne große Probleme genehmigt werden wird. Ich schlug ihm trotzdem vor, ihn bei seinem letzten Termin zu begleiten.

An jenem Tag saßen wir zuversichtlich beim Termin und warteten auf die zuständige Sachbearbeiterin. Als diese reinkam, wurde Gregorio sogleich die Frage gestellt, ob ich denn die Frau sein würde, die er heiraten werde, um sich auf diese Weise ein langfristiges Bleiberecht zu sichern. Ich war zunächst schockiert über ihre Unverschämtheit und Direktheit, wie sie mit ihm kommunizierte. Verärgert stellte ich ihr klar, dass ich seine Cousine bin und ihn beim heutigen Termin unterstützen wollte. Darauf reagierte sie nur noch mit einem gequälten und mürrischen Gesichtsausdruck und fuhr schließlich mit dem eigentlichen Anliegen fort.

Nach unserem Termin erzählte mir Gregorio, dass er keine andere Art und Weise der Behandlung wie diesen respektlosen und diskriminierenden Umgang in dieser Behörde kennen würde.

Einige Zeit später nahm ich bei einer Befragung des Aktionsteams in der Bürgerplattform vor der Ausländerbehörde teil, bei der ich von anderen Menschen ähnliche Geschichten hörte.

Eine von ihnen blieb mir besonders in Erinnerung: Einer Frau, die hier geboren wurde und einen Sohn hatte, drohte die Ausweisung. Von der Ausländerbehörde kam daraufhin der wenig einfühlsame Vorschlag, sie solle doch einfach in mehreren Jobs arbeiten, statt auf Kosten des Staates zu leben.

*Soweit Namen angegeben sind, haben die Betroffenen zugestimmt. Namen mit einem * versehen wurden aus datenschutzrechtlichen Gründen nachträglich durch fiktive Namen geändert.

 

Die Suche nach einem Schülerpraktikumsplatz

Ich ging in die 10. Klasse und war auf der Suche nach einem Schülerpraktikumsplatz. Lange überlegte ich mir, welcher Bereich denn für mich infrage kommen könnte. Schließlich nahm ich mir vor, meinen Zahnarzt im Wedding zu fragen, ob ich in seiner Praxis mein Praktikum absolvieren könnte. Ich stellte es mir spannend vor, mal Einblicke in diesen Beruf zu bekommen und für einige Wochen dort zu arbeiten. Als ich meinen Zahnarzt danach fragte, wurde ich abgewiesen. Seine Begründung lautete: Die Patienten würden durch mein Kopftuch abgeschreckt werden und sich nicht wohl bei ihrem Aufenthalt in der Praxis fühlen. Seine Worte musste ich mir erst mal auf der Zunge zergehen lassen, weil sie mich mit einer solchen Wucht trafen. Auch vor dem Hintergrund, dass meine Geschwister und ich schon von klein auf Patienten bei ihm waren, hatte ich es einfach nicht von ihm erwartet, dass er so darüber denkt. Die Situation war mir sehr unangenehm, und da ich noch jung war, wusste ich nicht genau, wie ich damit umgehen sollte, und habe auch nicht weiter darauf reagiert. Nach diesem Ereignis war ich nur noch ein Mal in seiner Praxis und bin danach nicht mehr zu ihm hingegangen. 

 

Vorreiter unter den Großkonzernen?

Die VW AG hatte die erste Betriebsvereinbarung und ist sogar Vorreiter unter den anderen großen Konzernen. Die Vereinbarung beinhaltet auch Paragrafen, die Migranten einen bestimmten Grad an Schutz einräumen. Schmähungen und Beleidigungen von Migranten oder rassistische Sprüche konnten mit einer fristlosen Kündigung sanktioniert werden. Während ich im Betrieb beschäftigt war, habe ich nicht erlebt, dass, trotz mehreren Vorfällen, gegen irgendjemanden vorgegangen wurde.  

Zum Beispiel wollte ein Meister, der eine Abteilung mit leistungsgeminderten Kolleg*innen leitet, dass nicht mehr im Sitzen gearbeitet wird. Ein Kollege mit Migrationshintergrund wies seinen Meister darauf hin, dass sein Arzt ihm verordnet habe, sitzend zu arbeiten. Daraufhin antwortete er, im Beisein von anderen Mitarbeitern, dass solche Wünsche früher in den Gaskammern geendet hätten.

Trotz zahlreicher Beschwerden von meinen Kolleg*innen unternahm die Personalabteilung gegen die Äußerung des Meisters nichts und ließ den Vorfall unter den Teppich kehren. 

 

Bestehen der Fahrprüfung: Eine Frage der Staatsangehörigkeit?

Nun wurde es ernst! Der Tag war gekommen, an dem ich meine praktische Fahrprüfung absolvieren wollte. Als ich die Fahrschule betrat hatte ich ein gutes Gefühl und ich freute mich darauf, den Führerschein endlich in meinen Händen zu halten. Ich begrüßte meinen Fahrprüfer und zeigte ihn meinen türkischen Personalausweis, um die Prüfung durchführen zu können. Misstrauisch schaute sich der Fahrprüfer meinen Ausweis kurz an und überraschte mich mit der Frage:

„Woher haben Sie den denn?!“ Zunächst habe ich die Absicht hinter der Frage gar nicht so wahrgenommen und antwortete wie selbstverständlich, dass ich Türke bin.

„Sind das wirklich Sie auf dem Foto?“, fragte er unbeeindruckt. Auf dem Ausweis war noch ein etwas älteres Bild von mir. Trotzdem sollte es doch eigentlich kein Problem sein, solange der Ausweis gültig ist, dachte ich mir. Ich sagte ihm, dass ich das Foto ja nicht ändern könnte, nur weil ich jetzt ein wenig anders aussehe. Forsch antwortete mir der Fahrprüfer:

„Tja, da musst du trotzdem in die Türkei gehen und dir einen neuen Ausweis ausstellen lassen!“ Daraufhin lachte ich ein wenig verunsichert. Ich wollte die Stimmung ein wenig auflockern, mich irgendwie aus der absurden Situation lösen und endlich mit der Prüfung beginnen. Ich antwortete darauf:

„Wie soll das denn gehen? Muss ich jetzt extra zur Botschaft?“ Ich konnte die Prüfung durchführen, aber ab diesem Zeitpunkt war die Stimmung endgültig gekippt.

Jedenfalls tat der Fahrprüfer alles dafür, dass ich meinen Führerschein am Ende nicht bekam. Angefangen mit der für mich unerwarteten Auseinandersetzung mit dem Ausweis suchte der Fahrprüfer auch während der Prüfung Haare in der Suppe und ließ mich am Ende durchfallen, weil ich, nach seiner Meinung, schief eingeparkt hätte. Seitdem kam ich mehrmals ins Gespräch mit Fahrlehrern, die mir alle bestätigten, dass schiefes Einparken niemals ein ausreichender Grund sei, bei der Fahrprüfung durchzufallen. Noch nie hatte ich mich so hintergangen gefühlt. 

 

„Das ist doch nicht Dein Ernst, oder?“

Im Frühjahr dieses Jahres fuhr meine junge Kollegin, Esma, mit ihrem kleinen Sohn auf eine Eltern-Kind-Kur. Esma zieht ihr Kind alleine groß. Sie ist 29 Jahre alt und seit 9 Jahren bei unserer Firma. Sie ist eine zuverlässige und beliebte Mitarbeiterin, die gerne lacht. Mit ihren in dieser Zeit gesammelten Erfahrungen trägt sie sehr viel zu unserem Unternehmen bei.

Über Weihnachten hatte Esma eine schwere Bronchitis und, weil es ihr so schlecht ging, musste sie mitten in der Nacht zusammen mit ihrem Sohn ein Taxi zum Krankenhaus nehmen. Als sie wieder gesund war, wurde ihr vom Arzt eine Eltern-Kind-Kur empfohlen.

Auf der Webseite des Klinikums steht: Ein Mensch wird schneller gesund, wenn er sich in seinem Umfeld wohlfühlt. Deshalb sind unsere Kliniken Meeresbrise und Heidesanatorium ganz auf Ihr Wohl eingestellt.

Esma hatte sich auf die drei Wochen im Klinikum gefreut. Im Büro hat sie später erzählt, dass alles gut gelaufen war. Bei ihrer Ankunft hatte die Leiterin des Klinikums sie und ihren Sohn mit den Worten,

„Ach, hier kommt der Sonnenschein!“ begrüßt, wie sie mir sagte. Und es hätte ihr gutgetan, zusammen mit ihrem Sohn eine stressfreie Zeit zu verbringen. Ganz auf Ihr Wohl eingestellt waren die Leitung des Klinikums – Ärzte, Physiotherapeuten, Krankenschwestern.

Wochen später jedoch, wie aus dem Nichts, erzählte sie mir ein zusätzliches Detail, dass sie wohl vergessen hatte: Lediglich einer der anderen Mütter wechselte ein paar Worte mit Esma. Die anderen schlossen sie und ihren Sohn völlig aus. Sie und ihr Sohn saßen jeden Tag alleine beim Essen, was sie auf ihr türkisches Aussehen zurückführte. Von den ungefähr 35 Kur-Besuchern waren Esma und ihr Sohn die Einzigen, die nicht „Deutsch“ aussahen.

An einem der Tage wollte ein Junge mit Esmas Sohn spielen. Er kam zu ihnen herüber, wurde jedoch von seiner Mutter sofort wieder zurückgeholt mit den laut in den Raum gesprochenen Worten

„Das ist doch nicht Dein Ernst, oder?“

Eine an ihr dreijähriges Kind gerichtete rhetorische Frage, die wohl eher für die Zuhörer bestimmt war, als dass ihr Kind diese hätte beantworten können.

Esma sagte mir, dass das Ganze nicht so tragisch wäre. Ihre Zeit dort hat sie sich durch das Verhalten der anderen Kur-Besucher nicht verderben lassen; die Angestellten des Klinikums waren freundlich – von dem Verhalten der anderen Besucher wussten sie wohl nichts.

„Kommt mal vor. Überall gibt es Menschen, die dumme Verhaltensweisen an den Tag legen. Hab schon Schlimmeres erlebt,“ meinte sie. Esma ist tough. Sie ist es gewohnt, sich selbst zu verteidigen. Sie lässt sich nicht leicht einschüchtern oder unter Druck setzen.

„Das ließ mich völlig unbeeindruckt“, sagte sie, als sie mir dieses Detail, Wochen später im Büro, plötzlich erzählte. Aus dem Nichts kam die Geschichte. Völlig unaufgefordert. Die Geschichte, über das Verhalten der anderen Mütter, die eigentlich füreinander hätten da sein können. Wochen später. Die Geschichte, die sie völlig unbeeindruckt ließ. 

 

Ausgelacht beim Deutschdiktat wegen meines Kopftuchs

Ich war etwa 13 Jahre alt und hatte erst seit einigen Wochen ein Kopftuch getragen. In dieser Zeit befand ich mich im Übergang von der Grundschule zum Gymnasium. Obwohl sich meine neue Schule mitten im (multikulturellen) Wedding befand, war ich die einzige Kopftuchträgerin in der Klasse. In dieser Zeit hatte ich eine Deutschlehrerin, die immer wieder versuchte, mein Leben zur Hölle zu machen. Im Unterricht schrieben wir gerade unser erstes Diktat.

Meine Deutschlehrerin stand vorne an der Tafel und diktierte uns die Sätze. Plötzlich merkte ich, dass alle anfingen zu lachen und mich dabei amüsiert anschauten. Ich hob den Kopf und schaute nach vorne zur Lehrerin. Daraufhin merkte ich, dass sie mich die ganze Zeit musterte und dabei ihr Gesicht zu Grimassen verzog. Erstmal dachte ich, dass wäre ihre Art, die Sätze zu diktieren. Aber dann erkannte ich, dass sich diese Grimassen direkt auf mich bezogen. Die anderen Schüler nahmen auch davon Notiz und lachten weiter. Ich wusste nicht, wie mir geschah und wie ich mit dieser Situation umgehen soll. Als die Mitschüler*innen nicht aufhörten zu lachen, ergriff die Lehrerin das Wort und sagte: „Nein, nein, nein, lacht bitte nicht. Es ist doch so, dass Humera wegen dem Tuch schlecht hören kann!“ Über diese Aussage war ich so geschockt, dass ich nicht mal widersprechen konnte. Die Situation kam für mich einfach unerwartet. Am meisten erschütterte mich jedoch, dass keiner dem etwas entgegensetzte und mich alle in diesem Moment im Stich ließen.

 

Kriminelle im Auto? Der steinige weg zum Hotel

Eines Tages halfen mein Mann und ich einem befreundeten Paar aus Trier, das zu Besuch in Berlin war, bei der Suche nach ihrem Hotel. Wir holten sie vom Flughafen ab und klapperten mit unserem Auto die Straßen ab. Draußen war es schon dunkel. Die beiden Herren saßen vorne – mein Mann am Steuer –während wir Frauen auf dem Rücksitz Platz genommen hatten. Wir waren gerade in einer Dreißigerzone unterwegs gewesen, als wir plötzlich von zwei Polizisten angehalten worden sind. Sofort leuchteten sie mit ihren Taschenlampen ins Auto und forderten meinen Mann und das befreundete Paar auf, die Hände auf ihre Sitze zu legen. Als Einzige wurde ich nicht angesprochen. Für den Zweck dieser Geschichte, sollte ich erklären, dass unsere Freunde afrikanische Wurzeln hatten. Mein Mann hat türkische Wurzeln, und ich bin Deutsch-Peruanerin. Das grelle Licht der Taschenlampe blendete unsere Augen, und war uns allen ziemlich unangenehm. In diesem Augenblick fühlten wir uns, als stünden wir unter Verdacht, eine schwere Tat begangen zu haben.

Die beiden Beamten fragten meinen Mann, warum er so langsam fuhr und wo wir denn hinwollten. Darüber hatte ich mich schon sehr gewundert, weil wir uns ja in einer Dreißigerzone befanden. Was geht das die Polizei an, wir haben doch gar nichts angestellt, fragte ich mich in diesem Moment immer wieder. Es gibt doch gar nichts, womit wir uns strafbar gemacht hätten.

Anschließend verlangten sie von meinem Mann und meinen Freunden die Personalien. Ich dagegen wurde nicht kontrolliert. Ich wurde sauer und wollte von ihnen direkt wissen, warum sich alle außer mir ausweisen mussten und was die genauen Gründe für diese Kontrollen wären. Daraufhin gaben sie die Antwort, dass es sich um eine routinemäßige Kontrolle handeln würde. Sie gingen nicht mehr weiter darauf ein. Mir wurde schnell klar, dass die beiden Polizisten mit dieser Sonderbehandlung ausschließlich provozieren und diskriminieren wollten.

Für meinen Mann war das Verhalten der Polizei nichts Neues. Er erzählte mir später, dass er bereits sehr oft von der Polizei willkürlich kontrolliert wurde, und zwar bestimmt schon mindestens 10 Mal in seinem Leben. Seit mittlerweile zwölf Jahren besitze ich selbst den Führerschein und wurde bis heute von keinem Beamten angehalten. 

 

„Gutgemeinte“ Kurse und Ratschläge - Erfahrungsberichte aus meiner Schullaufbahn 

Die erste Erfahrung in Bezug auf Rassismus machte ich in der Grundschule, als ich in einen „DAZ“- Unterricht (Deutsch als Zweitsprache) gesteckt wurde, obwohl meine Mutter deutlich und öfters erklärt hatte, dass meine Muttersprache Deutsch ist, und sie das nicht möchte. Meine Noten spiegelten den Wunsch meiner Mutter wider. 

Das wohl prägendste Erlebnis mit Rassismus war, als meine Mathelehrerin mich während meines abschließenden „Motivationsgesprächs“ fragte: „Jenny was möchtest du nach deinem Abschluss (MSA) machen?“ Ich erzählte ihr aufgeregt und stolz, mich für mein Fachabitur im Bereich Sozialwesen beworben zu haben.

Ihre Antwort: „Jenny, das solltest du nicht tun, mach lieber eine Ausbildung, am besten nur betrieblich. Das ist besser für dich! Du solltest deine Fähigkeiten nicht überschätzen und nicht vergessen, wo du herkommst!“

Liebe Frau Bellheim*, ich habe meine Fachhochschulreife und eine schulische Ausbildung als staatlich anerkannte Erzieherin abgeschlossen. Ich war während meines Studiums Stipendiatin und habe mein Studium mit der Note 1,7 erfolgreich abgeschlossen. Ich arbeite seit Kurzem in meinem Traumberuf und stehe jungen Menschen zur Seite, wenn ihnen Dinge schwer zu schaffen machen, so wie zum Beispiel Ihre „motivierenden“ Worte damals an mich.

Danke für das „motivierende Gespräch“ - besser hätte es nicht laufen können.

*Soweit Namen angegeben sind, haben die Betroffenen zugestimmt. Namen mit einem * versehen wurden aus datenschutzrechtlichen Gründen nachträglich durch fiktive Namen geändert.

 

Das Klischee vom Aussehen und der Herkunft 

Eine Schulfreundin hatte mich im Jahr 2013 zu einem Jugendtreffen der evangelischen Gemeinde in Pankow eingeladen. Alle Besucher und Teilnehmer, die sich schon länger kannten, saßen in einem großen Stuhlkreis beisammen. Als ich den Raum betrat, hatte das Treffen schon begonnen. Sie redeten über die Gefahr der damals erst neugegründeten AfD und einen Aufmarsch von rechtsextremen Gruppierungen in der Nähe vom S- und U-Bahnhof Pankow. Als nicht religiöse Person war ich positiv überrascht, dass sich in der Kirche mit Rechtsradikalismus auseinandergesetzt wird und Jugendliche mit 13 Jahren schon für das Thema sensibilisiert werden.

Nachdem mich der Leiter der Gruppe willkommen geheißen hatte, wurde ich von ihm gleich als Erstes gefragt, ob ich ein Austauschschüler bin und überhaupt Deutsch verstehe, weil ich anscheinend so aussehe, als würde ich nicht von hier kommen. Ich war verwirrt über diese Frage und brauchte eine Weile, um zu antworten, weil ich fest davon überzeugt gewesen bin, dass meine Heimat und Geburtsstadt immer Berlin heißen wird und ich auch Teil dieser Stadt bin. Meine ganze Schulzeit habe ich zudem in diesem Pankower Kiez verbracht und kannte mich in keinem Viertel so gut aus, wie dort.

Seitdem habe ich registriert, dass eine feste Vorstellung von Deutschsein in der Gesellschaft immer noch in den Köpfen existiert. Eine dunkele Haut- und Haarfarbe scheint wohl nicht dazu zu gehören.

  

„Sonderbehandlung“ bei der Aufnahmeprüfung 

Nach dem Abitur habe ich mich sofort auf einen Studienplatz an der Universitätsklinikum Berlin beworben. Daraufhin wurde ich zu einer Aufnahmeprüfung in Naturwissenschaften eingeladen und bekam einen Termin zugewiesen. Ich hoffte natürlich den Test zu bestehen, um gleich mein Studium aufnehmen zu können und ging dementsprechend mit großen Erwartungen zur Prüfung. Vor dem Prüfungsraum angekommen, näherte ich mich einer älteren Empfangsdame. Die offensichtlich schlecht gelaunte Frau musterte mich eindringlich und verlangte ein wenig schroff nach dem Einladungsbescheid für die Prüfung und meinem Personalausweis. Ich zeigte ihr daraufhin die Unterlagen vor. Doch sie schaute mich weiterhin misstrauisch an und fragte sogar ihren Kollegen, der neben ihr stand, ob ich denn in diesem Zustand den Prüfungsraum betreten könnte. Der Kollege wurde daraufhin verlegen und schaute mich überrascht an, als er die Frage hörte. Lächelnd gab er schließlich sein Einverständnis, und endlich konnte ich den Vorlesungssaal betreten, in der die Prüfung standfand. Im Vorlesungssaal gab es mehrere Bankreihen hintereinander. Der Raum war schon mit mehreren Prüfungsteilnehmern gefüllt, die eng beisammensaßen. Ich suchte mir den nächstbesten Platz im Saal zwischen anderen Kommilitonen. Vor dem Beginn wurde ich vom betreuenden Professor direkt angesprochen, dass ich ihm folgen sollte. Dieser zeigte auf einen außerordentlichen Tisch in der Ecke des Saales, weit abseits von den anderen Teilnehmern, und bat mich daraufhin, mich dort hinzusetzen. Mir wurde mit der Zeit klar, dass der Tisch nur für mich bereitgestellt wurde. Dort sollte ich den Test schreiben. Alle Augen der Teilnehmer waren auf mich gerichtet und schauten mich bemitleidend an. Doch keiner traute sich, etwas zu sagen. Durch die für mich unerwartete Sonderbehandlung stand ich kurz davor, in Tränen auszubrechen. Es kostete mich viel Kraft, die Tränen zurückzuhalten. Jeder im Saal konnte merken, wie unangenehm diese Situation für mich war. Ich konnte selbst nicht darauf reagieren.

Während der Einführung kam schließlich eine Person zu mir und wies mich an, dass ich mich in die leere erste Reihe des Vorlesungssaales setzen sollte, damit ich nicht die Möglichkeit habe, heimlich einen Spickzettel aus meinem Kopftuch während der Prüfung hervorzuholen und die ganze Zeit im Blickfeld und unter Kontrolle der Betreuer stand. Während der Prüfung nahm der Professor meinen Personalausweis, notierte sich von dort etwas und legte ihn wieder zurück. Als ich mich anschließend im Saal umsah, stellte ich fest, dass die Überprüfung des Ausweises nur bei mir stattgefunden hatte.

Nach der Prüfung fand ich in Gesprächen mit anderen kopftuchtragenden Kommilitoninnen heraus, die den Test an anderen Terminen absolviert hatten, dass meine Situation ein Einzelfall war und ich willkürlich Diskriminierung ausgesetzt gewesen bin. Ich bekam eben zufällig einen Professor unter Prüfungsaufsicht zugewiesen, der seinen Rassismus an mir ausgelassen hatte und mich leiden ließ.

Viel schlimmer war für mich die Erkenntnis, dass jeder im Saal wusste, wie sehr ich unter der Sonderbehandlung gelitten habe. Doch keiner hatte den Mut aufgebracht, mich in der Situation zu unterstützen. Ich kann natürlich verstehen, dass man nicht mutig genug ist, den Mund aufzumachen und Zivilcourage zu zeigen. Mir wäre es sicherlich auch schwergefallen, zu reagieren. Dennoch hätte ich mir schon gewünscht, dass sie nach der Prüfung auf mich zugegangen wären und mir gegenüber mehr Empathie gezeigt hätten, zum Beispiel, mich zu bestärken, mir Mut zu machen bzw. mir zu sagen, dass sie diesen Umgang auch nicht gut finden. 

 

 

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